Das Innere der Kirche

Die Kirche der Dominikaner wurde 1946 als erste neue Kirche in der damaligen britischen Besatzungszone erbaut und schon bald zur Chor- und zur Portalseite hin erweitert. Steinmaterial war schon einige Jahre zuvor von Berlin angeliefert worden. Der Bau der U-Bahn hatte den Abriss der Dominikanerkirche ‚Maria de Victoria‘ in der Karlsstraße unumgänglich gemacht und der Orden entschloss sich, mit dem Material in Vechta eine neue Kirche zu bauen. Außer den Steinen wurden auch die Kirchenbänke und die Türen nach Vechta transportiert.

In der Folgezeit mussten alle verfügbaren Mittel für den Aufbau und Ausbau der Schule und des Internats sowie für die Errichtung eines neuen Klosters eingesetzt werden, so dass die Kirche rund 30 Jahre hindurch unverändert blieb. In 30 Jahren sammeln sich jedoch Schäden an. In 30 Jahren ändern sich Stil und Geschmack, nicht zuletzt auch die Formen des Gottesdienstes. In den siebziger Jahren sind alle Kirchen und Kapellen im Vechtaer Stadtgebiet renoviert worden – 1980 war es in Füchtel auch so weit.

Was aus Dringlichkeitsgründen immer wieder zurückgestellt wurde, war nun endlich dran. Was sollte geschehen? Die Ausgangsüberlegung war, den Altar näher an das Kirchenschiff zu rücken, weil der zu große Abstand sich für die Liturgie nachteilig auswirkte. Bei näherem Hinsehen war jedoch leicht zu erkennen, dass eine kleine Lösung keine Lösung sein würde.

Der bisherige Altar war ein mit Naturstein verblendeter Zementblock, der nicht einfach versetzen werden konnte. Ein neuer Altar forderte eine neue Bodenplattierung, denn die alten Platten waren verbraucht und zum Teil abgesackt. Zudem stand eine Höherlegung des Chorraumes zur besseren Sichtverbindung an. Wie von selbst ergab sich dann die Notwendigkeit, Marienaltar, Kanzel und Chorgestühl in eine an den Altar und den Altarraum angepasste Form zu bringen.

Beim genauen Hinsehen entdeckte man bald weitere „schlimme“ Dinge: Die schäbige Neonröhrenbeleuchtung, die von Rost angefressenen Fenster, die undichte Bleiverglasung, die undichten bzw. lärmenden Türen, die unansehnliche Beichtstuhlfront, den völlig unzureichend isolierten Dachboden, den Schmutz von Jahrzehnten auf Fußboden und Bänken etc. Kurz: alles schrie nach einer umfassenden Renovierung des Kircheninneren. Die anfänglich gedachte kleine Lösung hätte nur langhin stotternden  Aufschub  zur  Folge  gehabt.  Es  hatte   sich inzwischen finanzielle Hilfe von verschiedener Seite (Offizialat Vechta, Kirchenbesucher u. a.) angeboten, so dass sich der Konvent ruhigeren Gewissens für die größere Lösung entscheiden konnte. Die Kosten wären dennoch bis zur Überforderung gestiegen, hätte  man den Kirchenboden erneuert und auch noch die Heizung (zur Staubverhütung) verlegt. Hier sollten Ausbesserung, Reinigung und Aufhellung genügen. Einige Wünsche mussten halt auf der Strecke bleiben.

Wer sollte mit der wichtigen Aufgabe der Renovierung beauftragt werden? Die Wahl fiel auf den einheimischen Künstler Albert Bocklage, der gerade, was künstlerische Ausstattung von Kirchen angeht, weit über Vechta hinaus bekannt und anerkannt ist.

Von den ersten Kontaktgesprächen bis zum Abschluss der Renovierung Ende 1981 war ein Jahr vergangen. Alle wichtigen Arbeiten wurden anhand von Modellen und Entwürfen im Maßstab 1:20 bzw. 1:1 eingehend miteinander besprochen. Der Künstler hörte auf Wünsche und kritische Anmerkungen, mit denen ihn die Patres nicht schonten. Der Künstler zeigte sich kompromissbereit. Ausdrücklich war ihm allerdings zugesichert worden, dass man letztlich seine künstlerische Kompetenz vertrauensvoll respektiere. Was die Terminierung   der   Arbeiten   anging,   wurde   der  Auftraggeber zunehmend bereiter, Wartezeiten nach schöpferischen Augenblicken abzustecken und Zeitmarkierungen im Terminkalender entsprechend zu lesen.

Herr Bocklage begrüßte es sehr, dass ihm zur Neugestaltung der Kirchenraum ganz zur Verfügung stand. Dem Chorraum dürfte gleichsam als Raum für sich besondere Aufmerksamkeit gelten. Erfreulicherweise standen nur geringfügige bauliche Veränderungen an (Plateau-Anhebung, Vorziehen einer Stufe, Einebnung des Titusgrabes, Durchbruch rechts vom Chorbogen, Sakristeizugänge mit Schiebetüren).

Es entspricht der religiösen Bedeutung des Altares, dass in der Abfolge der Gestaltung des Chorraumes alles vom Altar seinen Ausgang nimmt. Der Altar steht auf einem achteckigen Suppedanium. Die rechteckige, nach unten hin abgeschrägte Mensa aus Muschelkalk ruht auf einem filigranartig durchmodellierten Bronzefuß. Während Marmor die für ihn typische Eigenstrukturierung mitbringt, lebt Muschelkalk gleichsam von begleitenden Formen. Abgesehen von der Ausformung im Detail erzielt gerade das materialfreundliche Miteinander von Muschelkalk und Bronze sympathische Wirkung. Die Liturgie kann sich jetzt rund um den Altar nach allen Seiten unbehindert entfalten.

Die Bodenplattierung im Chorraum holt durch ihr rautenförmiges Muster sozusagen alle Elemente der Chorausstattung auf einen recht ansehnlichen „Marmor-teppich“. Während der Altar den gesamten Kirchenraum auf sich zentriert, findet der Chorraum eine weithin sichtbare Mitte im Tabernakel, der zwischen Altar und Chorwand-Kreuz auf einer Stele aus Muschelkalk seinen Platz gefunden hat. Die besondere Bedeutung des Tabernakels in der kath. Kirche hat wohl den Künstler bewogen – entgegen der ursprünglichen Absicht ornamentaler Gestaltung – , der Figürlichkeit den Vorzug zu geben, Der Tresor ist ein ins Rechteckgestreckter Würfel, der nach oben satteldachartig abgedeckt ist. Alle Flächen tragen Reliefplastiken aus Bronze. Auf der Tabernakeltür ist die Abendmahlsszenedargestellt. Zu den Seiten hin folgen Auferstehung und Himmelfahrt sowie die Sendung des Hl. Geistes. Die der Chorwandzugewandte Rückseite des Tabernakels erinnert an die heilsgeschichtlichen Zusammenhänge des Alten und Neuen Testaments. „Jahwe“ (in hebräischen Buchstaben) an das Alte Testament. „Christus“ (in griechischen Buchstaben) an das Neue Testament. Auf den oberen Schrägflächen zeigen 4 Medaillons die Symbole der 4 Evangelisten. Frohbotschaft Gottes wird hier in bildhafter Nähe be-„greifbar“ und ruft den betenden Betrachter auf, sich von dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus ergreifen zu lassen.

Feuervergoldung und Verzierung mit grünen Halbedel-Steinen betonen die unerschöpfliche Kostbarkeit, die allen zugänglich ist, die sich auf Christus einlassen. Vermutlich hat der Künstler auch das Bibelwort „vor Augen“ gehabt „Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort. Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“ (Genesis 28, 17).

Des eichenfurnierte Chorgestühl bildet einen „eckigen Halbkreis“ und  öffnet  sich  zum  Tabernakel  bzw.  zum  Altar  hin.  In dem horizontalen Abschluss wiederholt sich eine Dreiecksspitze in rhythmischem Ablauf. Als Formelement wiederholt sich das Dreieck durchgehend auch in der Flächenanordnung. Dadurch bekommt das Gestühl eine kräftige Profilierung.

Das Chorgestühl ist nicht nur durch den großen Rundbogen vom Kirchenschiff einsehbar, sondern auch durch den erneut geöffneten kleinen Rundbogen auf der rechten Seite, in dem die Figurengruppe Maria-Jesuskind-Dominikus auf einer neuen Stelle Platz gefunden hat. Eine kleine Änderung mit großem Gewinn!

In einer Kirche des Predigerordens kommt der Kanzel hohe Bedeutung zu. „An der Kanzel wird man Sie messen. Geben Sie acht, es darf kein Lesepult werden!“ Mit solchen und ähnlichen Worten wurde der Künstler „begrüßt“. Erst längeres Experimentieren führte zur Einigung. Trotzdem fand das Werk ebenso Ablehnung wie begeisterte Zustimmung. Die Kanzel ist ganz in Bronze gefertigt. An der Rückwand hängt das Ordenswappen, ebenfalls aus Bronze. Der Künstler hat von vornherein die unten offen gestaltete Kanzel zusammen gesehen mit  dem  Prediger  im  Ordenshabit.  An  dieser  Kanzel  sollte  die ganze   Gestalt   des Predigers „sprechen“ können.

Entscheidende Bedeutung für die Innenausstattung kommt natürlich den Fenstern zu. Die räumlichen Vorgaben legten es nahe, drei unterschiedliche Auffassungen zu verwirklichen: Fenster im Chorraum, Fenster im Kirchenschiff und Fenster an der Westseite. Zunächst machte Herr Bocklage Entwürfe für 5 kleine Rundfenster im Chor (Nordseite). Hier ging es, so könnte man sagen, um Miniatur. Er brachte Vorstellungen wie Knospe, Welle, Fisch, Leben aus dem Wasser u. ä. als Detail-Symbole künstlerisch ins Spiel. Der Beobachter sollte aber nicht durch übermäßige Deutlichkeit festgelegt werden. Dies gilt auch für die einfließende Farbensymbolik etwa von blau (Wasser, Leben) – rot (Liebe, Leiden) – grün (Hoffnung).

Die beiden größeren Rundfenster im Chorraum (Südseite) hat der Künstler mehr statisch aufgefasst. In Form und Farbe lehnte er sich an das recht eindrucksvoll wirkende Chorgestühl an. Farbliche Entsprechungen zu den Miniaturfenstern der Gegenseite bewirken Gleichklang im Verschiedenen. Die Fenster im Kirchschiff sind lichtfreundlich und zurückhaltend, was Form und Farbe angeht. Diese Farbfenster sind stark graphisch bestimmt (Lineatur der Bleiverglasung; farblose bzw. grau getönte Scheiben). In vorsichtiger Bandführung wechseln Gelb-  und Blautöne ab, sparsam bereichert mit moosgrünen bzw. violettroten Ergänzungen. Sie strahlen zurückhaltende Freundlichkeit aus. Einordnen kann man sie sowohl unter „traditionell“ als auch unter „modern“. Sie haben dienende Funktion.

Die Rundfenster der Rückwand – besonders das große Fenster über der Orgelbühne – haben farbkräftige Akkordtöne. Sie wirken wie ein von Herzen kommendes „Auf-Wiedersehen!“ für alle, die nach der Christusbegegnung am Altar sich dem Ausgang nähern. Vom Sichtakzent, aber auch vom Sinnimpuls her ist die Rosette der Rückwand sprechender Gegenpol zu dem großen Kreuz an der Frontseite (Kreuzlinien/Kreislinie bzw. Kreuzesleiden/Siegeskrone).

Es wäre verlockend, einmal die vielen – in der Mehrzahl zustimmenden Beobachtungen und Äußerungen der Kirchenbesucher zusammenzustellen, Es würde hier zu weit führen. Eine der erfreulichsten Stellungnahmen lautete: Die Kirche hat eine meditative Atmosphäre erhalten. Diese Äußerung führt zu einem abschließenden Gedanken. In einer formsprengenden Zeit ist Gespür für Form besonders wichtig. Es hat geradezu seelsorglichen Wert, zumal dann, wenn man Formgestaltung nicht nur  um  ihrer selbst willen meint (Ein nur ästhetischer Mensch ist nicht am Kreuz interessiert). Schönheit wird zu Recht als Widerschein des Göttlichen erlebt. Wenn  ein  Kunstwerk aus der meditativen Innenschau des Künstlers entsteht, dann ermöglicht es mit werbender Kraft meditatives Schauen. Auf der Suche nach Gott braucht man lange Zeit, aber auch den richtigen Ort – und plötzlich hat man die richtigen Augen…