Warum selig?

Der Anlass, diesen Artikel zu schreiben, ist die Hoffnung unserer Ordensprovinz, der sich bereits über Jahrzehnte hinziehende Seligsprechungsprozess für P. Titus möchte nun doch in absehbarer Zeit zu einem erfolgreichen Ende geführt werden. Nicht verschwiegen sei, dass sich diesem Abschluss immer wieder neue Hindernisse in den Weg stellen, auch jetzt noch. Aber diese Hindernisse sollen hier nicht näher ausgeführt werden. Vielmehr stellte mir das Redaktionsteam der „Kontakte“ die Frage, warum ich P. Titus für einen vorbildlichen (heiligmäßigen) Menschen halte. Ich wandle diese Frage so ab: Warum bemühen wir Dominikaner uns darum, dass P. Titus selig gesprochen wird?

Ich pflege auf diese Frage, die einem ja ziemlich oft gestellt wird, als Erstes so zu antworten: Wir Dominikaner der Ordensprovinz „Teutonia“, aber ich meine, nicht nur wir Dominikaner, sondern auch die Katholiken hier in Südoldenburg sind diesem Ordensmann zu Dank verpflichtet. Denn P. Titus hat für uns Großartiges geleistet und er hat dieses Großartige aus einer auch heute noch überzeugenden Frömmigkeit heraus getan, in der uns allerdings manches – das sei zugegeben – fremd geworden ist.

Ohne ihn, ohne seinen tatkräftigen Einsatz für den Aufbau von Schule und Internat, wäre das Unternehmen „Vechta“ wohl kaum so gut aus den Kinderschuhen herausgekommen.

P. Titus hat sich als Prokurator des Konventes zusammen mit P. Laurentius, dem Rektor von Schule und Internat, größte Verdienste um den Aufbau der Schule und des Internates erworben. Nun ist die Errichtung eines Neubaus nicht unbedingt eine großartige Leistung; auch dies nicht, dass der Bau des Internates in die Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg fiel, obwohl die Inflation die Nerven des Bauherrn arg strapazierten. Nein, P. Titus leistete hier Großartiges, weil er als Prokurator in so schlimmer Zeit eigentlich stets Verwaltungsaufgaben übertragen bekam, die ihm an sich überhaupt nicht lagen. Aber danach fragten weder der Orden noch P. Titus selbst. Er erfüllte sie und er erfüllte sie gut und gekonnt, weil er sich mit der Sache der Ordensprovinz in bewundernswerter Weise völlig identifizierte, weil er in allem, was ihm aufgetragen wurde, den „Platz“ sah, an den ihn Gott gestellt hatte. Und Gott würde ihn nur da suchen, sagte er sinngemäß, wo „sein Platz“ war, nicht dort, wohin er sich in seinen Wünschen gestellt zu sehen hoffte. In den Seligsprechungsakten schreibt ein Gutachter: „P. Titus war von seinem Charakter her ein ganz nach Innen gewandter Mensch. Aber er, dessen ganzes Wesen an sich zur Innerlichkeit neigte, übernahm doch in äußerster Pflichterfüllung Tätigkeiten, die ihm eigentlich nicht entsprachen.“

Zum Dank sind wir Dominikaner P. Titus verpflichtet. In Heiligsprechungen sieht die Kirche seit eh und je auch den Dank, den sie dem Heiligen schuldet. Wir kennen das Bild, das Fra Angelico von Dominikus gemalt hat. So könnte ich mir gut P. Titus vorstellen; tatsächlich verpflichtete ihn der Orden eher dazu, Bettelbriefe zu schreiben und Bankauszüge zu lesen. So ganz richtig ist das nicht, was ich da schreibe; denn P. Titus strahlte zugleich die Ruhe und die Liebenswürdigkeit eines Mannes aus, der sich wie hier Dominikus auf dem Bild Fra Angelicos in Gottes Wahrheit geborgen wusste. Ein anderer Gutachter stellt in den Seligsprechungsakten fest: „Der Diener Gottes P. Titus Horten erweist sich als heiligmäßiger Christ (…) voll liebenswerter Tugenden.“ Und das bezeugen viele, die P. Titus gekannt haben, zum Beispiel die Vollzugsbeamten, die ihn während seiner Inhaftierung kennen lernten, zum Beispiel die evangelischen Krankenschwestern, die sich darum stritten, ihn pflegen zu dürfen, als es mit ihm im Gefängnis zu Ende ging, und auch – für mich ein wunderschönes Zeugnis – ein Vechtaer Bürger, der in einem Liebesbrief aus dem Jahr 1912 an seine Verlobte schreibt: Meine liebe Berta! (…) Bei den Dominikanerpatres bin ich heute auch gewesen. (…) Vor vier oder fünf Tagen wurde der frühere Prior Pater Titus verhaftet und gestern wurde der alte ehrwürdige Priestergreis unter Bewachung von zwei Kriminalen nach Oldenburg gebracht. Den P. Titus wirst du auch kennen, ein großer hagerer Mann, der sonntags oft hier im Hause (Krankenhaus – Anm. von mir) die heilige Messe liest und predigt. Weshalb die Verhaftung erfolgte, kann man nicht erfahren. P. Titus ist bei allen Vechtaern, ob Katholik oder Protestant oder Kommunist, hoch geachtet und als heiligmäßiger Pater bekannt. Allen, die ihn kennen, blutet das Herz und mir ganz besonders, war er doch seit sechs Jahren mein Beichtvater. Gestern Morgen bin ich zum Bahnhof gewesen, um noch einmal den lieben Pater zu sehen. Er musste selbst seinen Koffer schleppen und an jeder Seite ein „Geheimer“. Wie unser Herrgott einst sein Kreuz schleppen musste, so ergeht es heute seinen Dienern. (…)“

Eine Ordensschwester aus dem Vechtaer Marienheim schrieb mir vor längerer Zeit einen Brief, in dem sie von ihren „Begegnungen“ mit P. Titus erzählt. Als Schlusssatz wählte sie: „In gütigen Menschen geht das Wesen Gottes über die Erde. Eine Begegnung mit solchen Menschen wirkt sich gnadenvoll in der Seele aus.“

Auch die Gestapo „begegnete“ P. Titus; aber bei den Geheimdienstlern wirkte sich die Begegnung nicht gnadenvoll aus. Bei ihnen weckte sie Hass – noch über des P. Titus Tod hinaus. Der Oberpostmeister Peters hatte 1936 an der Beerdigung des P. Titus teilgenommen. Der Reichspostminister reagierte darauf am 22. Februar so: „Durch die Teilnahme an der Trauerfeier hat Peters sein Mitgefühl für den Verstorbenen trotz dessen Verbrechen gegen den nationalsozialistischen Staat öffentlich bekundet und sich in Gegensatz zur Gemeinschaft des deutschen Volkes gestellt (…) Er hat damit gegen die ihm nach § 10 RPG obliegenden  Pflichten  gröblichst verstoßen. (…) Nach dem Vorkommnis ist es nicht (mehr) möglich, den OPM Peters an seinem jetzigen Amtsort zu belassen. OPM Peters wird hiermit (…) in den Bezirk der RPD Stettin versetzt.“

Mit solchen Tönen will ich diesen Artikel nicht schließen, sondern mit einigen Zitaten aus der mutigen Kanzelverkündigung des Pfarrers von St. Georg, der in aller Öffentlichkeit dagegen protestiert, dass Gemeindemitgliedern aus der Teilnahme an der Begräbnisfeier für P. Titus Nachteile erwachsen sollten. Und damit nehme ich das Motiv der Dankespflicht wieder auf. Pfarrer Hermes ließ u. a. Folgendes auf der Kanzel verkündigen: „(…) An der Beerdigung von P. Titus teilzunehmen war für die Gemeinde eine Ehren- und eine Dankespflicht. Denn ungefähr zwei Jahrzehnte hatte der Verstorbene in gewissenhafter, vorbildlicher Weise in der Seelsorge gewirkt und wohl jeder Teilnehmer war irgendwie dem Toten zu Dank verpflichtet. Diese Erfüllung einer selbstverständlichen Dankespflicht als staatsfeindliche Haltung zu bezeichnen heißt die christliche Auffassung von Treue, Liebe und Gerechtigkeit untergraben.“

Pater Ulrich Schulte OP
Vizepostulator im Seligsprechungsverfahren